Achtsamkeit am Sonntag: Woche 2 von 8
Die zweite Woche des 8-wöchigen MBCT-Trainings steht unter dem Motto “Eine andere Art des Wissens”. Ein Grundsatz der Achtsamkeits-Lehre lautet “Denken wird dann zum Problem, wenn es die Kontrolle übernimmt.” Wenn wir uns also in der Gedankenwelt verlieren, dies aber nicht möchten, leben wir nicht im Hier und Jetzt, sondern in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Oft versuchen wir, einfach “nicht zu denken”, was jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Vielmehr denken wir noch mehr an das, woran wir gar nicht denken wollen.
Nachdenken über oder Gewahr-sein
Eine einfache Übung hilft uns, die eigenen Gedanken besser steuern zu können. Anfangs mag uns das noch ungewöhnlich vorkommen, wir haben das Gefühl, dass unsere Gedanken einfach da sind und machen, was sie wollen. Doch ähnlich einem Bauchmuskel, der zum ersten Mal ein Sit-Up bewältigen muss, ist es auch bei der aktiven Gedankensteuerung: Was anfangs unmöglich erscheint, fällt nach regelmäßigem Üben deutlich leichter.
Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit für die Übung “zwei Arten des Wissens”.
Nachdenken über: Setzen Sie sich bequem hin und denken Sie über Ihre Füße nach: Was geht Ihnen durch den Kopf? Wie sehen Ihre Füße aus? Wohin haben sie Sie schon getragen? Vielleicht kommt ein Gefühl des Mögens oder des Nicht-Mögens. Welche Gedanken kommen Ihnen in den Sinn? Lassen Sie den Gedanken einfach freien Lauf!
Bewusstes Gewahr-sein: Lenken Sie jetzt bitte Ihre Aufmerksamkeit direkt in Ihre Füße. Fühlen Sie sich in Ihre Füße ein uns stellen Sie sich vor, wie die Füße von innen nach außen aufgebaut sind, stellen Sie sich die Knochen, Muskeln, Sehnen, Hautschichten genau vor, stellen Sie sich das Blut vor und spüren Sie, wie sich Ihre Füße anfühlen: Sind sie kalt oder warm? Schmerzen Sie? Fühlen Sie den Druck von Socken, den Druck unter der Fußsohle, Spannung? Krümmen Sie die Zehen so gut Sie können und spüren Sie den Unterschied in der Anspannung. Lassen Sie dann die Zehen wieder locker und spüren Sie jetzt noch einmal nach - wie unterschiedlich das Gefühl vom fest verspannten zum locker entspannten Fuß ist. Nehmen Sie dieses entspannende Gefühl war, das sich über Ihre Füße bis hinauf in Ihre Beine und den ganzen Körper ausbreitet.
Konnten Sie einen Unterschied zwischen diesen beiden sehr einfachen Übungen erkennen? Wenn wir über etwas nachdenken, sind wir distanziert, kommen schnell weg vom Moment und schweifen ab. Vielleicht haben Sie schlecht über Ihre Füße gedacht, haben sie verglichen mit früher, als sie noch zarter waren und die Haut glatter, oder mit jemandem, der aus Ihrer Sicht viel schönere Füße hat. Vielleicht sind Sie gedanklich weiter abgedriftet und haben an etwas ganz anderes gedacht - wie etwa die offenen Punkte auf der ToDo-Liste…. Das Nachdenken über etwas, wie wir es im Alltag meist automatisch machen, bringt uns weg vom Hier und Jetzt und kann viel Energie kosten. Wir verfallen in den TUN-Modus und können leicht in Grübeln und Sorgen versinken.
Beim bewussten Gewahr-sein kommen wir bewusst in Kontakt mit dem Moment, in dieser Übung mit unserem Körper. Wir sind mitten im SEIN-Modus, erleben unmittelbare Erfahrungen und schweifen nicht so schnell ab. Wir lenken unsere Gedanken auf das, was gerade ist, wie den Schein einer Taschenlampe. Durch bewusstes Üben von Achtsamkeit für den Moment, hier für den Körper, kann uns vom Kopfkarussell in den Moment zurück holen.
UNSERE GEDANKEN PRÄGEN UNSERE EMPFINDUNGEN
Die Gedankenwelt bringt uns im Alltag häufig in unangenehme Situationen. Stellen Sie sich etwa vor, Sie sehen eine Bekannte auf der anderen Straßenseite und diese grüßt Sie nicht. Wie reagieren Sie?
beunruhig - “Sie hat keine Lust, mit mir zu sprechen”
neugierig - “Ich frage mich, woran Sie wohl gerade so intensiv denkt, dass sie mich gar nicht bemerkt!”
depressiv - “Sie mag mich nicht, typisch, keiner mag mich!”
wütend - “Die hat mich sicher gesehen und einfach ignoriert! Die kann mich mal!”
besorgt - “Sie scheint beschäftigt zu sein, hoffentlich geht es ihr gut und sie muss sich nicht gerade wegen irgendetwas viele Sorgen machen!”
Dies sind ein paar mögliche Reaktionen auf die oben geschilderte Situation. Dabei handelt es sich bei allen Statements um Spekulationen. Die an sich neutrale Situation hat unsere eigenen Muster aktiviert und mit unserer subjektiven Brille ordnen wir das, was wir erleben, ein. Das ist grundsätzlich ein sinnvoller Prozess - wir können ja nicht jede Kleinigkeit im Alltag zerlegen und analysieren. Doch dieser energiesparende Automatikprozess kann auch zu vorschnellen Handlungen und Gedanken führen. Achtsamkeit kann helfen, voreilige Schlüsse zu verhindern. Wenn wir also die Bekannte auf der Straßenseite sehen und sie uns nicht grüßt, können wir uns erst einmal bewusst machen, dass unsere automatischen Verarbeitungsmuster nicht unbedingt stimmen müssen (aber dennoch stimmen können!). Dann können wir uns im Hier und Jetzt bewusst werden, welche alternativen Erklärungen es geben könnte und dann bewusst entscheiden, welche Erklärung für uns passt. So tappen wir nicht in die automatische Gedankenfalle, die zu vorschnellen Entschlüssen führen kann. Statt passiver Denkmuster sind wir also in einer aktiven Haltung. Durch das Training unseres “Bewusstseins-Muskels” gelingt es uns, achtsamer durchs Leben zu gehen.
Übung für jeden Tag:
Machen Sie sich selbst immer wieder Notizen darüber, wie Sie im Tun-Modus reagieren. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
Welche Gefühle spüren Sie (wo)?
Wie Verhalten Sie sich (davor und danach)?
Je bewusster Sie sich Ihrer ganz eigenen Muster werden, desto besser können Sie diese verstehen und bei Bedarf auch verändern.
“Unsere emotionale Reaktionen spiegeln die Interpretationen wider, mit denen wir uns Situationen erklären, und nicht die Situation an sich. ”