Wahrnehmung: Ich mach mir die Welt...

© Philipp Lublasser. Manchmal müssen wir genau hinsehen, um den Überblick nicht zu verlieren.

© Philipp Lublasser. Manchmal müssen wir genau hinsehen, um den Überblick nicht zu verlieren.

“Das was ich wahrnehme, ist nicht die Welt. Vielmehr meine Interpretation davon.” Diese Worte scheinen sinnvoll und logisch. Denn die Realität an sich ist neutral, sie ist, was sie ist, eine Sammlung an Situationen, die geschehen. Die meisten davon ohne unser Zutun, ohne unsere Kontrolle. Obwohl so vieles passiert, ohne dass wir etwas dagegen tun können, machen wir uns sehr viele Gedanken darüber, wie wir das Leben steuern und beeinflussen können. Kein Wunder: Kontrolle und Orientierung zählen zu unseren Grundbedürfnissen. Je unsicherer uns subjektiv die Welt um uns herum erscheint, desto mehr sehnen wir uns nach Sicherheit. Unsere Versuche, den Lauf der Dinge zu kontrollieren, zeigen sich in Perfektionismus und zwanghaftem “Monk-Verhalten”, dieses Verhalten ist Ausdruck des Versuchs, das Leben handhabbar(er) zu machen.

Unsere Wahrnehmung kann täuschen

Die Sozialpsychologie spricht davon, dass der Mensch ein “kognitiver Geizhals” ist. Das bedeutet, dass wir von unserer biologischen Anlage her darauf ausgerichtet sind, möglichst wenig Energie zu verbrauchen - egal ob durch körperliche oder geistige Anstrengung. Dieses Phänomen ist eine Erklärung dafür, wieso wir uns von vorschnellen Interpretationen leiten lassen, anstatt immer bewusst über die Situation nachzudenken. Dies wäre viel zu energieaufwändig und wir wären ständig damit beschäftigt, alles zu analysieren. Unser Gehirn wird zwar nicht nur zu 10 Prozent genützt (dieser Mythos hält sich hartnäckig. Mehr dazu: Spektrum), dennoch braucht es bewusste Anstrengung, um eine Situation klar zu durchdenken und nicht in vorschnelle Muster zu verfallen.

So funktioniert unsere (unbewusste) Wahrnehmung:

  1. Reiz aus der Umwelt: zB ein Mensch, der spricht.

  2. wir nehmen diese Situation wahr

  3. wir interpretieren nach unseren Kriterien und Werten, wie dieser Mensch ist: Dies ist unser Versuch, mit der Situation zurecht zu kommen, potentielle Gefahren zu erkennen und das Gegenüber einzuschätzen. In die Bewertungskriterien spielen Faktoren mit hinein, allen voran unsere Lernerfahrung

  4. wir bewerten das Gegenüber und erleben unmittelbar danach ein Gefühl zu dieser Bewertung: “Der ist bestimmt freundlich oder aggressiv …”

  5. wir verhalten uns dementsprechend: Wir gehen auf diesen Menschen so oder wenden uns von ihm ab, wir öffnen uns oder verschließen uns.

Im Alltag funktioniert diese Wahrnehmung sehr gut, sie hilft uns, möglichst “effizient” durchs Leben zu kommen. Hinderlich wird dieser automatische Prozess dann, wenn wir in eine Gedankenfalle und in Muster tappen, die uns nicht gut tun. In Vorurteile zum Beispiel. Um dies zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, sich selbst zu fragen: Wonach bewerte ich mein Gegenüber? Was ist für mich:

  • schön/hässlich

  • intelligent/dumm

  • erfolgreich/faul

  • gut/böse

  • rechts/links

  • arm/reich

Wer hat mir das so beigebracht? Wie reagiere ich darauf, wenn ich jemandem begegne, der diese oder jene Kriterien (aus meiner Sicht!) erfüllt?


Je besser wir uns selbst kennen, desto besser wird unser Leben.
— Irvin Yalom.



Magdalena Lublasser-Fazal