Warum reagiert jeder anders auf Stress?
Von Flucht, Angriff & Erstarren
Gerald Hüther, seines zeichens Gehirnforscher der ersten Stunde und begnadeter Vortragender, hat den Begriff des zentralen Adaptionssyndroms geprägt. Die beschreibt, dass das Gehirn nicht nur „Auslöser“ für Stressreaktionen ist, sondern durch Hormone wie Noradrenalin und Kortisol auch beeinflusst wird. Diese Stresshormone beeinflussen die neuronalen Verschaltungen im Gehirn, das bedeutet sie beeinflussen die Art, wie unser Gehirn funktioniert.
Durch die Aktivierung des noradrenergen Systems kommt es zu stärkerer Durchblutung im Gehirn, einer vermehrten Glukoseaufnahme (Zucker!!) und einem höheren Energiestoffwechsel. Wenn das Gehirn kurze Stressepisoden immer wieder erfolgreich meistern kann, werden die betreffenden Bereiche im Gehirn dafür gestärkt. Das Gehirn wird stressresistenter – Herausforderungen können besser gemeistert werden. Dieser Vorgang wird als von neurotrophen Faktoren gemeistert – das sind Substanzen, die Nervenzellen beim wachsen helfen.
Wenn nun durch unkontrollierbare langfristige Stressbelastung viel Kortisol im Blut vorhanden ist, gelangt es auch ins Gehirn. Das Kortisol hindert die neurotrophen Faktoren, das bedeutet, Nervenzellen und Verschaltungen können nicht so gut weiter gebildet werden. Außerdem werden die Rezeptoren für Neurotransmitter (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) durch chronischen Stress reduziert – dadurch wird die Kommunikation der betroffenen Nervenzellen gestört. Das Kortisol führt also zu einer Hemmung und Destabilisierung vorhandener Nervenschaltkreise im Gehirn. Aus biologischer Sicht macht das natürlich Sinn: In Gefahrensituationen macht es keinen Sinn, neue Verhaltensmuster einzulernen. Besser ist es, auf die Verhaltensweisen zurück zu greifen, die einem bei Gefahren in der Vergangenheit behilflich waren. Wenn dort aber Verhaltensweisen gespeichert wurden, die bisher dem Stress nicht stand gehalten haben, versucht das Gehirn, diese wieder zu löschen. Dies erklärt auch, warum wir aus Krisen stärker hervorgehen: Das Gehirn hat gelernt, mit bisher ungeahnten Möglichkeiten, Herausforderungen stand zu halten.
Warum jeder unterschiedlich auf Stress reagiert
Je nachdem, wie man subjektiv mit Stress umgehen kann, führt Stress von außen zu unterschiedlichen Reaktionen im Organismus.
Ärger: Löst die Situation Ärger aus, werden vor allem Katecholamine (Noradrenalin) freigesetzt. Herzfrequenz und Blutdruck steigen stark an. Auch die Ausschüttung von Testosteron (Hormon für aggressiv-dominantes Verhalten). Der Kortisolspiegel bleibt unverändert. Der Organismus kommt in den Kampf/Anstrengungs-Mode.
Furcht: In einer Situation, die primär von Angst gekennzeichnet ist, kommt es vor allem zum Ausstoß von Adrenalin, auch Noradrenalin und Kortisol sind leicht erhöht. Blutdruck und Herzfrequenz steigen an, aber nicht so stark wie bei der Ärger-Reaktion. Der Organismus stellt sich auf Flucht/Anstrengung ein.
Depressive Grundstimmung ("Erstarren"): Das Kortisollevel steigt an, das Testosteron nimmt ab, ebenso die Herzfrequenz. Das Verhalten wird als hilflos/unterordnend bezeichnet.
Wenn eine Situation als kontrollierbar eingestuft wird, etwa eine lange To Do Liste, die zwar anstrengend, aber grundsätzlich schaffbar ist, dann wird es eher zu einer Sympathikus-Nebennierenmark-Aktivierung (trockene Aktivierung – schneller) kommen und ggf. noch kurzfristig zur Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Zur lang anhaltendenden Aktivierung der HHPA kommt es immer dann, wenn die Herausforderungen des Lebes nicht (mehr) kontrollierbar scheinen – also wenn keine gewohnte Verhaltensweise hilft, das Gleichgewicht wieder herzustellen und neue Strategien erlernt werden müssen.
Durch gezieltes Training unserer Gedanken und unseres Verhaltens können wir lernen, mit Herausforderungen besser und gelassener umzugehen. Dadurch bilden sich auch im Gehirn neue Strukturen, die uns einen leichtern Umgang mit den Aufgaben des Alltags ermöglichen.