Wie unsere Kinder die Welt sehen


© Canva, Kinder saugen die Reaktionen ihrer Mitmenschen auf.

© Canva, Kinder saugen die Reaktionen ihrer Mitmenschen auf.

  

Bin ich eine gute Mutter? Was muss ich tun, um ein guter Vater zu sein? Diese Fragen sorgen bei (werdenden) Eltern für schlaflose Nächte, lange bevor der Nachwuchs für Schlafstörungen sorgt. In den vergangenen Jahren entgegnen erfahrene Eltern und Experten gleichermaßen: Good enough. Wir wachsen auf und je nachdem, wie wir unsere eigene Kindheit empfunden haben, mache wir alles „genau so wie Mutti“ oder „ganz anders als meine Eltern“. Je höher der eigene Anspruch, desto höher der Druck auf das eigene Eltern-Ich. Die good enough-Eltern, zu ihnen gehört der Großteil aller Mamas und Papas, spüren: Wir bemühen uns, wir tun unser Bestes, wir scheitern, wir versuchen`s weiter. Und: Alle Kinder werden erwachsen und auch wenn die Kindheit eine sehr prägende Zeit ist, sind Eltern nicht zu 100 % für das spätere Leben ihrer Nachfolger verantwortlich.

 

Dennoch: Die meisten Eltern möchten möglichst gute Eltern sein. Um diesem Anspruch zu genügen, gibt es (zumindest) einen hilfreichen Ratschlag. Kinder lernen in Bildern. In einer Situation zeigen sie ein bestimmtes Verhalten, dementsprechend geschieht etwas. Aus der Reaktion ihres Gegenübers lernen Kinder, wie gut oder „schlecht“ ihr Verhalten war. Je jünger Kinder sind, desto weniger können sie zwischen „meinem Verhalten“ und „ich“ unterscheiden.  Die Reaktion auf ihr Verhalten empfinden sie also als Reaktion auf ihre Person.

 

Ein Beispiel:

 

Ein Kind kommt an der Schreibtisch der Mama und erzählt aufgeregt, dass ihm der Saftbecher über die Couch gelaufen ist. Die Mutter hat – je nach ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen, verschiedene Möglichkeiten, um darauf zu reagieren. „Kannst du nicht aufpassen, du Schussel“, ist eine weit verbreitete Reaktion. Auch wenn das nicht böse gemeint ist, lernt das Kind: „Meine Mama findet, dass ich ein Schussel bin.“ Eine  einzelne Situation prägt das eigene Bild nur in den seltensten Fällen. Doch unser Nachwuchs geht mit offenen Augen und offenen Ohren durch das Leben und die Reaktion seiner Mitmenschen auf sein Verhalten prägt das Bild vom einen Selbst. Je öfter das Kind auf sein Verhalten solche Reaktionen erlebt, desto fester prägt sich das Muster über das eigene Ich ein.

 

Im Umgang mit unseren Kindern sollten wir uns also überlegen: „Welche Überzeugungen über sich selbst gewinnt das Kind aus meiner Reaktion?“ Lernt es, dass sein Verhalten zwar nicht angepasst war, ich das Kind aber toll finde? Oder lernt es, dass es einfach ein „ungeschickter Schussel“ ist?

 In unseren Worten liegt mehr Macht, als uns bewusst ist. Kein Wunder: Ähnlich einem Computer füttern wir damit unser Denken.  Die Sprache ist DAS Werkzeug für Kommunikation, unsere Gestik und unsere Mimik kommen hinzu. Wenn wir unser Kind also nach einem Missgeschick schräg anschauen, die Brauen zueinander ziehen, die Stimme erheben und sie zusätzlich verbal kritisieren, speichert das Kind die Botschaft in seinem Ich-Bild ab. Je nachdem, wie sensibel das Kind ist, nimmt es die Überzeugung mehr oder weniger stark in sich auf.

 

Um in der Welt mit all ihren Herausforderungen möglichst gut zurecht zu kommen, brauchen Kinder ein gesundes Selbstbewusstsein. Das bedeutet, sie sollen erkennen, dass sie – ebenso wie alle Menschen – ein wertvolles Individuum sind. Um auch in der jeweiligen Gesellschaft gut leben zu können, sollte unser Nachwuchs erfahren, wie er sich am besten verhält – was gehört zum guten Ton (falls das für das jeweilige Lebensmodell wichtig ist), wie geht man mit anderen Menschen um, was muss man tun, um (im jeweils angestrebten Bereich) erfolgreich zu sein? Im besten Fall lernen Kinder, dass sie tolle Menschen sind, die ihr Verhalten je nach Situation anpassen können. Ein guter Selbstwert unterstützt dieses gesunde Ich und als Eltern sind wir in der Lage, den Weg unserer Kinder von Anfang an „good enough“ zu begleiten.

 Ich habe einen Fehler gemacht, ich kann daraus lernen.

Ich bin nicht gut genug.

 

Übung:

Lesen Sie die folgenden Sätze, schließen Sie dann die Augen und sagen Sie sich diese vier Sätze Satz für Satz noch einmal vor. Eventuell können Sie sich auch aufs Smartphone sprechen und anhören, während sie die Augen geschlossen halten.

 

·      Ich bin nicht gut genug

·      Ich bin nicht wichtig genug

·      Fehler und Missgeschicke

·      Ich bin ein Affe

 

Wie fühlen Sie sich nach dem jeweiligen Satz?

Nach den ersten drei Sätzen fühlen sich die meisten Menschen traurig.

Nach dem vierten Satz werden sie vermutlich schmunzeln.

Dabei handelt es sich bei allen Sätzen bloß um eine Aneinanderreihung von Worten. Doch unser Glaubenssystem sagt uns bei den ersten drei Sätzen: Ja, genau, das stimmt. Je nachdem, wie oft wir solche kritischen Sätze gehört und in unser Ich integriert haben, ist dieses negative Glaubenssystem unterschiedlich stark ausgeprägt. Beim vierten Satz wissen wir: Das sind bloß Worte, das stimmt so nicht.

 

Magdalena Lublasser-Fazal