Kohärenztraining: So bekommen Sie Ihre Gefühle in den Griff
© Canva & Magdalena Lublasser: Wir haben mehr Möglichkeiten, unser Leben zu ändern, als wir denken. Dazu brauchen wir Motivation und ein bisschen Disziplin.
Wie oft sind wir genervt von dem, was uns passiert? Vom nervigen Chef, von den anstrengenden Kindern, von den fordernden Kollegen? Auch wenn wir es uns noch so oft vornehmen, beim nächsten Mal anders zu reagieren, tappen wir doch immer wieder in die Falle und funktionieren nach dem immer gleichen Muster: Mit Frust, mit Ärger, mit Wut oder im Modus „beleidigte Leberwurst“. Wir denken uns: Alles wäre so einfach, wenn die anderen sich endlich ändern würden!
Wenn erst alles perfekt ist, wird mein Leben toll!
Oder wenn wir unsere Ziele endlich erreicht hätten! Endlich genug Geld gespart, die Kinder endlich aus dem Haus, die 5 lästigen Kilogramm endlich abgenommen. Diese Gedanken sind ebenso nachvollziehbar wie weit verbreitet. Und dennoch sollten wir sie ganz kritisch hinterfragen. Denn weder wissen wir, ob nach dem magischen Tag (oder dann, wenn sich endlich alle geändert haben), die Welt wirklich so ist, wie wir sie uns vorstellen. Und außerdem haben wir keine Ahnung, wie viel Zeit uns eigentlich noch bleibt, um endlich das Leben zu leben, das wir uns wünschen. Statt also ständig zu darauf zu hoffen, dass sich das Außen verändert, sollten wir den Umweg in Angriff nehmen und in unser Inneres schauen.
Unser emotionales Gedächtnis
Im Beitrag über das „emotionale Gehirn“ habe ich bereits die Ausführungen des französischen Psychiaters und Neurobiologen Richard Servan-Schreiber ausgeführt und erklärt, wieso wir heute noch so reagieren, wie wir es in der Vergangenheit gelernt haben. Wir fühlen uns häufig gefangen in unseren Mustern und reagieren wie ein kleines Kind auf das, was uns im Alltag passiert. Die schlechte Nachricht: Diese Muster scheinen für unseren Körper und unser Gehirn sehr hilfreich gewesen zu sein. Daher sind sie alles andere als leicht zu verändern. Die gute Nachricht: Mit einem gewissen Maß an Motivation und täglich ein paar Minuten Übung ist es möglich, unser emotionales Gehirn wieder umzuprogrammieren. Dies ist zwar anstrengend und auch ungewohnt, doch der Aufwand lohnt sich: Je besser wir unsere Gefühlswelt kontrollieren können, desto besser kommen wir durch`s Leben. Psychologische Studien belegen auch den positiven Zusammenhang von Emotionskontrolle und Erfolg (zB hier: Science direct)
Gleichklang zwischen Herz und Hirn
Das Geheimnis hinter mehr Ausgeglichenheit, höherem Wohlbefinden, höherer Aufmerksamkeit und besserer Konzentration bezeichnet David Seran-Schreiber als Kohärenz, also den Gleichklang. Sobald wir unser Inneres unter Kontrolle haben, gelingt uns das Leben auch im Austausch mit der Außenwelt (wieder). Wir werden robuster und sind nicht mehr so sensibel gegenüber dem, was außerhalb unseres Körpers und unseres Geistes passiert, zugleich kommen wir auch mit uns selbst ins Reine. Herz und Hirn schaffen es wieder, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Übung: Kohärenz zwischen Herz und Hirn für mehr Lebensqualität
1. Lenken Sie Ihr Bewusst-Sein (ich schreibe das absichtlich so, um die Bedeutung des Wortes zu betonen) nach Innen. Dies gelingt am besten durch die bewusste Atmung. Schließen Sie die Augen und Atmen Sie tief ein, während des Einatmens atmen Sie gleich noch ein zweites Mal „dazu“ ein. Dann die Luft kurz anhalten und bewusst wieder ausatmen – ebenso im 2er Takt: Ausatmen und während des Ausatmens noch einmal „dazu“ ausatmen. Noch vier Mal wiederholen. Durch diese bewusste Atmung wird der Parasympathikus aktiviert, also jener der beiden Hauptnervenstränge, der für Ruhe und Entspannung zuständig ist. Servan-Schreiber spricht von der „körperlichen Stressbremse“, die durch den allgegenwärtigen und permanenten Dauerstress unserer Zeit zu wenig benutzt wird.
2. Achten Sie darauf, dass die Atmung nicht zu verkrampft wird. Nach ein paar Atemzügen sollte die Atmung sanft und locker werden. Atmen Sie in den Bauch, wenn Sie möchten, können Sie auch die Handflächen dorthin legen.
3. Nach dem fünften Ausatmen stellen Sie sich vor, wie die Atmung „durch ihr Herz“ geht. Wenn Sie möchten, können Sie auch die Handflächen auf Ihre Herzgegend legen. Das mag komisch, zuweilen esoterisch klingen, doch die Studien zeigen, welche wohltuende Wirkung diese Vorstellung in Kombination mit bewusster Atmung hat. Wir machen uns bei dieser Übung die menschliche Phantasie zunutze – unser Gehirn kann nicht zwischen Wahrheit und Phantasie unterscheiden und fühlt quasi, wie das Herz bewusste Aufmerksamkeit erhält.
4. Spüren Sie, wie das Einatmen das Herz mit einem warmen, angenehmen Gefühl erfüllt, so als würde es von der Sonne gewärmt oder so, wie wenn sie verliebt wären. Bei jedem Ausatmen stellen Sie sich vor, wie die Last und der Schmerz von Ihrem Herzen geht, vielleicht wie ein dunkler Schatten, der sich immer mehr auflöst oder ein dunkler Schleim, der mit der Ausatmung nach und nach verschwindet. Je bildlicher Sie sich dieses wohlig-warme Gefühl und das Auflösen des Negativen und Unangenehmen vorstellen, desto besser für Ihr Gehirn – wählen Sie Bilder, die zu Ihrer Vorstellung passen. Vielleicht kommt mit jeder Einatmung frischer Wind in Ihr Herz und das Ausatmen pustet die alte Luft hinaus? Oder sie stellen sich vor, wie frisches, reines Blut in die Herzkammern pumpt, während die Ausatmung das verbrauchte mit hinaus nimmt und abtransportiert. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
5. Nach zehn Atemzügen spüren Sie, wie Ihr Herz sich wohlig warm anfühlt und sie ein angenehmes, warmes Gefühl in Ihrer Herzgegend spüren. Das mag anfangs noch ganz ungewohnt sein und vielleicht auch kaum spürbar. Doch je öfter Sie diese Übung wiederholen (täglich mindestens ein Mal), desto besser gelingt es Ihrem Herzen, sich wieder zu öffnen und emotional zu wachsen. Vielleicht ist es nach vielen Jahren des Schmerzes und der schlimmen Erlebnisse noch sehr zurückhaltend (vgl der Spruch „Ein Herz aus Stein“, also ein komplett emotionsloses Herz oder den Spruch „da wird einem das Herz weich/ da geht einem das Herz auf“ – nachdem etwas emotional Berührendes passiert ist). Doch nach und nach kann auch Ihr Herz es schaffen, wieder in seine natürliche Emotionalität zurück zu kommen.
6. Denken Sie an eine Situation, für die Sie sehr dankbar sind oder einen Menschen, den Sie über alles lieben. Wenn Sie einen guten Selbstwert haben, kann dieser Mensch Sie selbst sein.
7. Spüren Sie ein paar Atemzüge lang, wie sich dieses wohlige Gefühl vom Herzen ausgehend in Ihrem ganzen Körper ausbreitet. Immer wieder berichten Klienten von einem Lächeln, dass sich spontan auf die Lippen legt.
8. Zahlreiche Studien belegen die hohe Wirksamkeit von Bewusst-Seins-Übungen wie diesen. In einer Untersuchung der Uni Stanford ließen bei Probanden, die über 6 Wochen lang ihre Kohärenz geübt hatten, Stressempfindungen (22 %) und Depression (34 %) deutlich nach. In den vergangenen Jahren wurden auch signifikante Verbesserungen bei Kindern mit ADHS und Konzentrationsstörungen gezeigt werden. Angst und Depression konnten durch Kohärenztrainings in ihrer Heilung unterstützt werden. Der Selbstwert und die Aufmerksamkeit für die eigenen Wünsche und Gefühle kann durch regelmäßiges Üben (ca 5 Minuten täglich) deutlich verbessert werden.
Eine ähnliche Übung ist die Bewusst-Sein-Übung.