Achtsamkeit am Sonntag: Woche 4 von 8

© Magdalena Lublasser-Fazal, Canva: Achtsamkeit bedeutet, auch unangenehmen Gefühlen bewusst entgegen zu treten.

© Magdalena Lublasser-Fazal, Canva: Achtsamkeit bedeutet, auch unangenehmen Gefühlen bewusst entgegen zu treten.

Von den fünf Basisemotionen, die wir Menschen kennen, sind die meisten unangenehm. Kein Wunder, stammen sie doch aus einer Zeit, in der es vor allem darum ging, in einer rauen Umwelt zu überleben und als Spezies nicht auszusterben. Zu diesen Emotionen gehört Angst, Wut, Ekel und Trauer. All diese unangenehmen Gefühle hatten einst die wichtige Funktion, uns vor dem Tod durch Fressfeinde oder vor der Ausgrenzung aus der so wichtigen sozialen Gruppe zu beschützen. Diese frühen biologischen Programme sind uns ähnlich wie der Hunger, das Bedürfnis nach Schlaf und der Drang zur Fortpflanzung erhalten geblieben. Wir erleben unangenehme Gefühle heute oft als sehr störend - kein Wunder also, dass wir sie loswerden möchten.

Die Freude ist die einzige angenehme Emotion, umso wichtiger ist es, sie uns immer wieder bewusst zu machen. Mehr darüber steht im Beitrag: Auf zum neuen Leben!

Unangenehme Situationen aus dem Alltag

Im Alltag gibt es immer wieder Situationen und Begegnungen, die zu negativen Gefühlen führen:

  • “Heute Nachmittag hat mich mein Chef kritisiert, da wurde ich total unruhig - ich empfand großen Druck, sofort irgendetwas tun zu müssen, wusste aber nicht, was.”

  • “Heute hatte der Bus Verspätung und während ich wartete, wurde ich so wütend auf das Bus-Unternehmen wegen der schlechten Organisation. Gleich danach wurde ich wütend auf mich selbst, weil ich mich wegen einer Kleinigkeit so aufregte.”

  • “Gestern wurde mir bewusst, wie oft ich nicht fühlen kann, welche Gefühle gerade in mir hochkommen. Ich steige anscheinend innerlich aus.”

  • “Heute Morgen spürte ich ein Gefühl von Traurigkeit in mir hochsteigen. Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich, weiterzumachen. Ich spürte, wie sich mein ganzer Körper dagegen sträubte".”

  • “Wenn ich Angst bekomme, denke ich ununterbrochen an die Katastrophen und Probleme, die auf mich zukommen könnten. Immer dieses “was ist wenn…?". Ich versuche mit aller Kraft, die Dinge unter Kontrolle zu bringen.”

… (Beispiele aus dem MBCT-Arbeitsbuch von Teasdale, Williams & Segal)

Kennen Sie solche oder ähnliche Situationen von sich selbst? Auch wenn alle Situationen ein bisschen anders waren, ist die Reaktion darauf relativ ähnlich: Abneigung!

Abneigung gegen unangenehme Gefühle: Logisch aber unwirksam

Die meisten Menschen reagieren auf unangenehme Gefühle mit einem sehr logischen Verhalten: Sie versuchen, nichts zu fühlen oder sich ganz bewusst gegen diese Emotionen zu sträuben. Sofort kommt das Gefühl “Das will ich nicht haben!” Das Problem ist nur: Dieses Verhalten funktioniert über längere Sicht nicht. Wenn ein negativer Gedanke aufkommt und ein flaues Gefühl in der Magengegend verursacht, kann es durchaus sein, dass dieser durch die aktive Ablenkung auf etwas Angenehmes von alleine wieder verschwindet. Dies hängt mit der Homöostase, der psychischen Selbstheilkraft, zusammen. Doch wenn über einen längeren Zeitraum immer wieder negative Gedanken und Gefühle auftreten, läuft das “Fass” irgendwann über und wir fühlen uns hilflos und ohne Kontrolle (warum uns das so wichtig ist, steht im Beitrag über das Grundbedürfnis nach Kontrolle & Orientierung).

Was können wir also tun, um besser mit diesen unangenehmen Gefühlen umzugehen?

Die Achtsamkeit lehrt uns einen ebenso einfachen wie hilfreichen Weg, im Alltag besser damit zurecht zu kommen. Wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir, dass wir unangenehme Gefühle in zwei Stufen erleben:

Stufe 1: Das unangenehme Gefühl taucht auf.

Stufe 2: Wir reagieren auf das unangenehme Gefühl in einer bestimmten Art und Weise. Meist so, wie wir es in unserer Lerngeschichte gelernt haben.

Sehen wir uns die Beispiele von oben noch einmal an, um zu erkennen, welche Muster dahinter stecken:

  • “Heute Nachmittag hat mich mein Chef kritisiert, da wurde ich total unruhig - ich empfand großen Druck, sofort irgendetwas tun zu müssen, wusste aber nicht, was.” Das Gefühl von Kritik führt zum Druck, etwas tun zu müssen.

  • “Heute hatte der Bus Verspätung und während ich wartete, wurde ich so wütend auf das Bus-Unternehmen wegen der schlechten Organisation. Gleich danach wurde ich wütend auf mich selbst, weil ich mich wegen einer Kleinigkeit so aufregte.” Das Gefühl von Wut führt zur Selbstkritik.

  • “Gestern wurde mir bewusst, wie oft ich nicht fühlen kann, welche Gefühle gerade in mir hochkommen. Ich steige da einfach innerlich aus.Gefühle führen dazu, innerlich auszusteigen/nichts zuzulassen.

  • “Heute Morgen spürte ich ein Gefühl von Traurigkeit in mir hochsteigen. Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich, weiterzumachen. Ich spürte, wie sich mein ganzer Körper dagegen sträubte.” Das Gefühl von Traurigkeit führt dazu, mit sich selbst besonders streng zu sein.

  • “Wenn ich Angst bekomme, denke ich ununterbrochen an die Katastrophen und Probleme, die auf mich zukommen könnten. Immer dieses “was wäre wenn…?". Ich versuche mit aller Kraft, die Dinge unter Kontrolle zu bringen.” Das Gefühl von Angst führt zu Sorgen, Gedankenkreisen, Katastrophendenken.

Ein wichtiger Schritt besteht darin, Stufe 1 und 2 zu erkennen. Wenn es so ist, dass wir Stufe 1 nicht verändern können (das ist ganz häufig so - das Unangenehme gehört zum Leben einfach dazu), dann können wir verlernen, auf Stufe 2 nach dem immer gleichen, unangenehmen Muster zu reagieren, das uns auf Dauer nicht gut tut und uns so viel Energie kostet. Wir verlernen, innerlich “auszusteigen” und in alte Muster zu flüchten. Dazu brauchen wir die Achtsamkeit und das Bewusst-Sein im Moment. Unser Ziel ist nicht länger, unsere Gefühle loszuwerden. Vielmehr lernen wir, uns ihnen wie friedliche und mutige Helden entgegen zu stellen und ihnen die Stirn zu bieten. Wir antworten bewusst auf sie, anstatt automatisch mit unseren stumpfen Waffen versuchen, gegen sie anzukämpfen.

Licht und Schatten gehören zum Leben dazu

  1. Wenden Sie sich in den nächsten sieben Tagen ganz bewusst ihren negativen Gefühlen zu. Dies mag vollkommen unglaublich klingen, weil sie einerseits ein Leben lang versucht haben, dagegen anzukämpfen oder sich vor ihnen zu verstecken und weil andererseits das allgemeine Bild der Psychologie den Anschein erweckt, dass man von seinen negativen Gefühlen wegkommen soll. Dies ist auch das langfristige Ziel von dieser Übung. Doch dabei geht es nicht darum, dass das Gefühl nie wieder kommen soll. Vielmehr lernen Sie, dass dieses unangenehme Gefühl nicht bedeuten muss, dass es Ihnen schlecht geht und Sie gemäß Ihrem alten Muster reagieren.

  2. Beobachten sie, welche Muster Sie erkennen können: Wie reagieren Sie auf welches unangenehme Gefühl. Und nicht vergessen: Je besser Sie sich selbst kennen, desto besser wird Ihr Leben - das beginnt im Alltag, von Situation zu Situation.

  3. Immer wenn Sie merken, dass Ihre Stufe 2 beginnt - Sie also gemäß Ihrem Muster reagieren, sagen Sie zu sich: “Aha, da ist also wieder mein Muster".

  4. Notieren Sie Ihre Beobachtungen für zumindest eine Woche, beispielsweise in diesem Plan. Dieser Plan dient der Selbstbeobachtung und Sie können ihn für unterschiedliche Übungen verwenden. In diesem Fall tragen Sie bitte immer Stufe 1 und Stufe 2 ein. Auf der Rückseite können Sie notieren, wie genau die Situation abgelaufen ist.

  5. Tragen Sie auch ein, wo im Körper Sie Reaktionen spüren, welche Gedanken und Gefühle sich ausbreiten.

  6. Wichtig während dieser Übung: Es geht nicht darum, sich wie ein strenger Elternteil oder ein Lehrer selbst zu überwachen. Vielmehr bitte ich Sie, sich mit einer liebevollen, freundlichen und neugierigen Haltung auf die Suche nach Ihren eigenen Mustern zu machen. Wie ein interessierter Gefühls- und Verhaltensdetektiv.

Wir können auf sehr unterschiedliche Weise auf unerfreuliche und unangenehme Gefühle reagieren.
— Teasdale, Williams & Segal.

Nachdem Sie Ihre eigenen Muster entdeckt und notiert haben, geht es zur Probe im Alltag:

  1. Ich bitte ich Sie, in der nächsten unangenehmen Situation nicht nach dem Muster der Stufe 2 zu reagieren, sondern bewusst zu sich selbst zu sagen: “Aha, da ist also wieder das Muster”.

  2. Dann versuchen Sie, einen bewussten tiefen Atemzug zu machen (bis 4 zählen), die Atmung kurz anzuhalten und lange auszuatmen (bis 6 zählen). Spüren Sie Ihren Atem.

  3. Dann versuchen Sie, Ihren Körper bewusst zu spüren - vom Scheitel bis zu den Fußsohlen. Fühlen Sie, wie die Füße am Boden aufliegen.

  4. Für viele Menschen reicht dieses neue Muster für den Anfang aus. Durch das bewusste Sein und die neue Reaktion - nämlich Atmung statt altem Muster - lernen Sie, wie sie auf unangenehme Situationen anders reagieren können

  5. Wenn Sie noch weiter gehen möchten, können Sie nach 3. Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Bewusst-Sein noch ausweiten und bewusst hören, was um Sie herum geschieht. Vielleicht hören Sie, welche Geräusche rund um Sie herum da sind - machen Sie sich bewusst auf die Suche danach.

  6. Nun fühlen Sie noch einmal nach: Die unangenehme Situation ist die gleiche (wie Sie sie vielleicht schon oft erlebt haben). Doch Ihre Reaktion, Ihre Stufe 2, Ihr Muster ist ein neues: Sie reagieren nicht mit Abneigung, sondern bleiben einfach in der Situation. Das spart Energie, ist angenehmer für Körper und Geist und gibt Ihnen das Gefühl von mehr Stärke.

  7. Je öfter Sie sich diesen unangenehmen Situationen bewusst begegnen und mit Ihrem neuen Muster reagieren, desto besser können Sie das neue Muster einsetzten. Bald werden die unangenehmen Situationen auch weniger unangenehm für Sie sein - weil Sie besser damit umgehen können, ohne flüchten zu müssen.

Ich wünsche Ihnen viel Neugierde und Freude beim Ihrer alten Muster und vor allem beim Experimentieren und Ausprobieren Ihrer neuen Muster nach den Schritten: Erkennen, Annehmen, Bewusst-Sein auf Atmung, Körper und Geräusche, Fühlen, wie angenehm das neue Muster ist.